Die Digitalisierung führt in der Kreativbranche – insbesondere im Musikbusiness – zu grossen Umwälzungen. Von der Produktion bis zur Vermarktung: Der technologische Fortschritt bietet neue Möglichkeiten, sich als Band bekannt zu machen und zu vermarkten. Ginger & The Alchemists nutzen sie.
Interview: Olivia Staub
Olivia Staub: Frau Brühwiler, was bedeuten die Umwälzungen in der Branche durch die Digitalisierung für Sie als Newcomer-Musikerin?
Carole Brühwiler: Ich denke, gerade Streaming-Plattformen wie Spotify bedeuten für das Musikbusiness grosse Veränderungen. Sie ermöglichen es uns Kreativschaffenden, unsere Werke einfacher unter die Menschen zu bringen. Auch ein Label braucht eine Band heute nicht mehr zwingend, um sich einen Namen zu machen. Deshalb sehe ich in den neuen Möglichkeiten, die diese Technologien bringen, eine grosse Chance. Trotzdem darf man aber die Frage nicht aus den Augen verlieren, wo man mit seinem Schaffen am Schluss wirklich das Geld verdient. Im Moment sind das bei uns hauptsächlich die Konzerte und das Merchandising, nicht die Streaming-Dienste.
Ich möchte Zahlen! Wieviel haben Sie bis jetzt mit Streamings verdient?
Rund 200 Franken. Das steht in keinem Verhältnis zum Aufwand, der hinter diesen Songs steckt.
Und das, obwohl Ihr Song «Walls» bei Spotify durch die Decke ging. Bis dato hat er knapp 30’000 Streams, eine grosse Zahl für eine Schweizer Newcomer-Band. Wie ist es dazu gekommen?
Das hat mit den Playlists zu tun. Dafür kann man sich bewerben. Mit «Walls» haben wir das zum ersten Mal gemacht und dieser Song hat es dann tatsächlich in diverse Playlists geschafft wie «Swiss Made» oder «New Music Friday Schweiz».

Wie schafft man es auf eine solche Playlist? Haben Sie da persönliche Kontakte zu Kuratorinnen und Kuratoren?
Nein, das läuft alles digital. Man füllt ein Formular aus, auf dem man unter anderem angibt, was für eine Stimmung der Song hat und welchem Genre er entspricht. Der Song wird dann von den Kuratierenden geprüft. Es gibt aber auch Playlists, bei denen Algorithmen über die Aufnahme entscheiden.
Wenn nicht finanziell – wie haben Ihnen die vielen Streams auf Spotify genützt?
Ich habe das Gefühl, diese Zahlen pushen das Projekt in einer Wechselbeziehung: Die Leute – unter ihnen auch jene Personen, die in Clubs das Musikprogramm machen – sehen, dass unsere Musik gehört wird. Das führt dazu, dass sie uns für Gigs buchen. Und die Menschen, die dann an diese Konzerte kommen, hören nachher wiederum unsere Musik auf Spotify, wenn ihnen das Konzert gefallen hat. So hängt alles zusammen, das Digitale und das Analoge.
Das heisst, Ihr analoges Netzwerk ist genauso wichtig wie das digitale?
Absolut. Schlussendlich führt kein Weg daran vorbei, direkt auf Menschen zuzugehen und ihnen zu erzählen, was wir machen – persönlicher Austausch ist gerade im kreativen Bereich wichtig. Wir bemühen uns deshalb darum, Vertreterinnen und Vertreter der Musikszene kennenzulernen. Wenn das geschehen ist, bleiben wir aber schon digital vernetzt. Wir bleiben zum Beispiel via Mail in Kontakt und achten auf einen sauberen digitalen Auftritt. Das ist wie ein Bewerbungsdossier für potenzielle Bookerinnen und Booker.
«SCHLUSSENDLICH FÜRT KEIN WEG DARAN VORBEI, DIREKT AUF MENSCHEN ZUZUGEHEN UND IHNEN ZU ERZÄHLEN, WAS WIR MACHEN – PERSÖNLICHER AUSTAUSCH IST GERADE IM KREATIVEN BEREICH WICHTIG.»
Müssen die Kreativschaffenden der Zukunft nebenbei auch noch PR-Profis sein?
Müssen nicht – es gibt nach wie vor verschiedene Wege. Aber es hilft auf jeden Fall, wenn man sich Wissen in diesem Bereich aneignet.
Produktion, Vertrieb und Vermarktung Ihrer Musik machen Sie selbst. Aufgaben, die normalerweise das Label übernimmt. Welches sind die Vorteile dieses Ansatzes?
Der Vorteil, wenn man alles selbst macht, ist, dass man alles selbst macht – das ist aber genauso ein Nachteil. Labels bringen sehr viele Kontakte mit und können Prozesse beschleunigen. Ich persönlich setze aber auf ein Team, wie ich es jetzt habe. Es ist mir extrem wichtig, dass ich mich selbst nicht verliere oder verbiegen muss, weil meine Songs so persönlich sind. Diese Freiheit habe ich mit meinen «Alchemisten». Ich schliesse es aber überhaupt nicht aus, mit einem Label zusammenzuarbeiten, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt.
Durch all diese Zusatzaufgaben haben Sie aber bestimmt weniger Zeit für die Musik selbst?
Das ist so. Songwriting braucht viel Zeit, und die ist momentan rar. Ich habe aber auch die Balance noch nicht ganz gefunden. Gerade die Sozialen Medien sind momentan eine Belastung für mich, weil Instagram und Facebook für mich noch Neuland sind. Mein Weg – das habe ich grad letzthin entschieden – ist, dass ich mir einen Zeitrahmen setze. Ich sage mir: Heute wäre ein Post gut, weil wir etwas ankündigen wollen. Diese Zeit nehme ich mir dann. Danach lege ich das Natel und den Laptop wieder weg und widme mich dem Liederschreiben oder meinen Freundinnen und Freunden – also Erlebnissen im «echten Leben».
Sie bemühen sich auch neben den Sozialen Medien aktiv darum, mit Ihren Fans digital vernetzt zu bleiben. So erhalten beispielsweise Leute, die Ihren Newsletter abonnieren, Ihre Musik gratis. Warum machen Sie das?
Wir finden das einen direkten und persönlichen Weg, mit den Menschen vernetzt zu bleiben. Eine E-Mail-Adresse ist etwas Wertvolles, da wir unsere Fans regelmässig und sehr spezifisch mit Neuigkeiten erreichen können. Da wollen wir auch etwas zurückgeben.
«EINE E-MAIL-ADRESSE IST ETWAS WERTVOLLES, DA WIR UNSERE FANS REGELMÄSSIG UND SEHR SPEZIFISCH MIT NEUIGKEITEN ERREICHEN KÖNNEN. DA WOLLEN WIR AUCH ETWAS ZURÜCK GEBEN.»
Sie messen diesen Daten also einen realen Wert zu?
Ja. Schliesslich wird uns ja damit Vertrauen gegeben, dass wir diese Daten nicht missbrauchen.
Wenn Sie sich von der Digitalisierung in Bezug auf Ihr Schaffen etwas wünschen könnten – was wäre das?
Einen Social Media Manager (lacht). Nein, im Ernst: Die Digitalisierung ist wichtig. Aber ich wünsche mir, dass der Gesellschaft wieder mehr bewusst wird, worum es bei der Musik geht. Emotionen und Erlebnisse passieren nämlich immer noch analog.
CAROLE BRÜHWILER, *1994, ist Sängerin und Songwriterin bei der Winterthurer Newcomer-Band Ginger & The Alchemists. 2018 gegründet, haben sie im gleichen Jahr auf mehreren Festivals gespielt, unter anderem an den Winterthurer Musikfestwochen und am OpenAir St. Gallen. 2019 erschien ihre erste EP «Constant Search | Lost». Die Band produziert, vertreibt und vermarktet ihre Musik im Eigenmanagement. Mehr: gingerandthealchemists.com
OLIVIA STAUB, *1993, studiert an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) Journalismus & Organisationskommunikation. Neben dem Studium widmet sie ihr Leben dem hiesigen Kultur- und Medienkuchen: Als Verantwortliche PR & Kommunikation im Albani Winterthur, als Redaktorin beim Coucou Kulturmagazin und als Sendungsmacherin bei Radio Stadtfilter.
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Von Mai bis Anfang Oktober 2019 gastiert das museum schaffen in der Lokstadt im Herzen von Winterthur. Als Schauplatz dient die Halle Draisine, eine ehemalige Montagehalle der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik. Im Rahmen von Eins, zwei, drei, 4.0 stehen eine anregende Ausstellung, abwechslungsreiche Veranstaltungen sowie ein Work Lab mit innovativen Workshops auf dem Programm.
Das moderne Historische Museum wird vom Historischen Verein Winterthur (HVW) getragen. Es stellt den Menschen als Schaffenden ins Zentrum und freut sich über Begleiter*innen, Besucher*innen und Macher*innen: Denn neben dem, was das Betriebsteam und seine Verbündeten selber auf die Beine stellt, bietet es auch Dritten Raum und Platz, um zu arbeiten und/oder zu veranstalten, zu feiern.